Das Objekt zum Subjekt machen
Jüdische Alltagskultur in Deutschland vermitteln

Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland hat paradoxerweise zu einer Engführung jüdischer Geschichte auf einen vermeintlich ausschließlichen Erfahrungszusammenhang von Verfolgung, Antisemitismus und Holocaust geführt. Die Gegenwart und Pluralität jüdischen Lebens in Deutschland und Europa finden dagegen nur wenig Eingang in die Lehrpläne. Selbst innerhalb von Berufsgruppen, die mit der Problematisierung oder Ahndung von Antisemitismen betraut sind (wie etwa pädagogische Fachkräfte in Kindergärten, Schulen und anderen sozialen Einrichtungen, aber auch Mitarbeitende von Polizei und Justiz) liegen starke Wissensdefizite über jüdische Geschichte und Kultur vor oder werden teilweise durch Bildungsmaterialien, die bisweilen selbst Vorurteile transportieren, befördert.

Ziel des Verbundvorhabens ist es, fragmentiertem oder vermindertem Wissen über die religiöse und lebensweltliche Praxis des Judentums zu begegnen, indem kulturgeschichtliche Grundlagenforschung mit anwendungsorientierter Schulbuchforschung verbunden und die Ergebnisse praxisbezogen für den Unterricht und die historisch-politische Bildungsarbeit aufbereitet werden.

Im September 2023 erschien das erste von drei Themenheften für den Unterricht, in denen Aspekte jüdischer Alltagskultur für den schulischen Bereich und die Erwachsenenbildung aufbereitet werden.

Das Vorhaben besteht aus drei Modulen:

In Modul 1, das am DI durchgeführt wird, werden alltagskulturelle Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland erforscht. Vier Essaybände thematisieren gegenwärtige, religiös-fundierte Alltagspraktiken wie das Tragen von Kippot, Beschneidung, Schächten, Kashrut und Begräbniskultur. Dadurch sollen zum einen in anschaulicher Weise Grundlagen der jüdischen Religion vermittelt, zum anderen aber auch ihr Wandel seit dem 19. Jahrhundert dargestellt werden. Ein als digitaler Katalog konzipierter Sammelband nimmt zudem gezielt die Veränderungen jüdischen Lebens in Deutschland seit 1989 in den Blick, das durch die Einwanderung aus der Sowjetunion einer fundamentalen Transformation unterliegt.

In Modul 2 wird parallel mittels einer wissenschaftlichen Monographie die Verbreitung stereotyper Vorstellungen von Juden und Judentum in Geschichtsschulbüchern und Geschichtsmagazinen untersucht. Das vom GEI verantwortete Teilprojekt geht dabei der Frage nach, wie stereotype Vorstellungen im Bereich der Bildung in jene Leerräume fragmentierten Wissens eindringen, sie besetzen und sich gegebenenfalls zu antisemitischen Vorurteilen verfestigen.

Modul 3, das von DI und GEI in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Deutsch-Jüdische Geschichte im Verband der Geschichtslehrer Deutschlands e.V. durchgeführt wird, transferiert die Forschungsergebnisse in den Bereich von Schule und Bildung. Drei Themenhefte für den Unterricht der Sekundarstufe orientieren sich thematisch an den Fallstudien aus Modul 1 und schöpfen aus deren Materialkorpus. Fortbildungen für Multiplikator:innen aus dem Bereich der schulischen Bildung dienen dazu, die Ergebnisse der Teilprojekte unter Lehrkräften zu verbreiten und deren Erfahrungen aus der schulischen Praxis in die Projektarbeit zurück zu spiegeln. Als dritter Transferkomplex werden, basierend auf den Ergebnissen der wissenschaftlichen Untersuchung aus Modul 2, Empfehlungen für Schulbuchautor:innen und -redakteur:innen erarbeitet.

Veranstaltungen

Publikationen

  • Alltagskultur: : Themenheft 1: Jüdische religiöse Traditionen. Jahreslauf – Speisegesetze – Schächten – Beschneidung, Leipzig 2023.

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Kontakt

Prof. Dr. Yfaat Weiss

Verbundkoordination
Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow
Goldschmidtstraße 28
04103 Leipzig

PD Dr. Philipp Graf

Projektkoordination
Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow
Goldschmidtstraße 28
04103 Leipzig

Dr. Dirk Sadowski

Verbundpartner
Leibniz-Institut für Bildungsmedien
Georg-Eckert-Institut
Freisestr. 1

38118 Braunschweig