Antisemitismus in pädagogischen Kontexten
Religiös codierte Differenzkonstruktionen in der frühen und mittleren Kindheit

Das Verbundvorhaben rekonstruiert religiöse Differenzkonstruktionen von Kindern im Vor- und Grundschulalter, um empirisch antisemitische Haltungen in ihrer Entstehung zu erfassen, zu verstehen und ihnen frühzeitig entgegenzuwirken. In drei unterschiedlichen pädagogischen Kontexten stehen die Perspektiven und Praktiken der Kinder in situ und in actu, das Erleben jüdischer Kinder und Eltern und die Wahrnehmung der beteiligten Pädagog:innen und Lehrkräfte im Mittelpunkt der Untersuchung. Durch die Beobachtung (vor-)schulischer Alltagssituationen, die Analyse des konfessionsübergreifenden Religionsunterrichts nach Hamburger Modell und der Erfahrungen an jüdischen Schulen wird sich ein Gesamtbild ergeben, das die Entwicklung gezielter Präventionsmaßnahmen für Vor- und Grundschulkinder ermöglicht.

Auf der Basis qualitativer Forschungen zielt das Verbundprojekt auf eine anwendungsbezogene Grundlagenforschung, die der Entwicklung pädagogischer (Praxis-)Konzepte für die Ausbildung von pädagogischen Fachkräften und Studierenden sowie der Fort- und Weiterbildung dient. Gleichzeitig soll sie die Konzeptualisierung von Unterrichtsmaterialien und Handreichungen für früh- und grundschulpädagogische Einrichtungen unterstützen. Das Projekt führt Forschungen zur Wieder- und Neugründung jüdischer Schulen in Deutschland fort.

Projektleitung: Prof. Dr. Isabell Diehm
Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Saba-Nur Cheema
Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Benjamin Rensch

Das Teilprojekt 1 RelcoDiff_ungesteuert untersucht, wie junge Kinder im Vorschul- und Grundschulalter (5- bis 10-Jährige) im Kindergarten und der Grundschule in ihrer alltäglichen sozialen Praxis Bezug nehmen auf gesellschaftlich relevant(e) (gemachte) Unterscheidungen nach Religion, phänotypischen Merkmalen wie Hautfarbe, sprachlicher, kultureller oder nationaler Differenz. Fokussiert werden ungesteuerte kindliche Differenzierungspraktiken – wie sie sich Ausdruck, in welchen institutionellen und sozialen Situationen, interaktiven und personellen Konstellationen und mit welchen sozialen und interaktiven Effekten verschaffen. Es interessieren die Perspektiven und Praktiken der Kinder in situ und in actu – auch in der Wahrnehmung von Pädagog:innen und Eltern. So unterentwickelt der entsprechende Kenntnisstand und die Datenlage noch sind, so relevant erscheint es in diesem Teilprojekt, i. S. einer Grundlagenforschung empirisch fundiertes Wissen rekonstruktiv zu generieren.

Projektleitung: Dr. Karen Körber
Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Susanna Kunze

Das Teilprojekt 2 RelcoDiff_jüdisch nimmt gegenüber den anderen beiden Projekten des Verbunds einen Perspektivwechsel vor und zielt darauf ab, die Wahrnehmungen der Betroffenen, d.h. jüdischer Eltern sowie deren Kinder, zu erheben und nach ihren Erwartungen und Erfahrungen mit jüdischen Grundschulen an verschiedenen Standorten zu fragen. Auch in jüdischen Grundschulen ist eine heterogene Schüler:innenschaft anzutreffen, gleichwohl befinden sich die jüdischen Kinder in dieser Schulform in der Mehrheitsposition. In Folge des migrationsbedingten Zuwachses ist seit den 1990er Jahren ein deutlich gestiegener Bedarf an jüdischen Bildungseinrichtungen im Kinder- und Jugendbereich festzustellen, der sich zuallererst in der wachsenden Zahl der jüdischen Grundschulen zeigt. Das Teilprojekt fragt danach, welchen Einfluss der Besuch einer jüdischen Schule aus der Perspektive der jüdischen Eltern und ihrer Kinder auf ihre religiösen Differenzwahrnehmungen hat. Das Projekt schließt damit an eine historisch orientierte Forschung zur Wiederkehr und Neugründung jüdischer Schulen in der deutschen Einwanderungsgesellschaft an.

Projektleitung: Dr. Anna Körs
Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Dr. Janne Braband

Das Teilprojekt 3 RelcoDiff_gesteuert untersucht die didaktisch vermittelten und reproduzierten Unterscheidungspraktiken im Religionsunterricht (RU). Der RU als Lehrfach leitet Kinder pädagogisch zur Herstellung religiöser (kultureller) Differenzen an, verbunden mit dem Ziel, die je eigene (religiöse) Identität zu stärken und die anderen religiösen (und nichtreligiösen) Zugehörigkeiten anzuerkennen und wertzuschätzen. Das Teilprojekt untersucht am Beispiel des Hamburger „Religionsunterrichts für alle“, wie in diesem Fach religiös-kulturelle Differenzen hergestellt werden, wie mit diesen umgegangen wird und welche Wirkungen daraus folgen. Es sollen empirisch fundierte Aussagen getroffen werden zu den Herausforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten des RU als einziges grundgesetzlich abgesichertes Lehrfach, das explizit auf die Prägung und Vermittlung von (religiösen) Identitäten, Werthaltungen und moralischen Einstellungen ausgerichtet ist.

Praxispartner des Verbundprojekts sind die Bildungsstätte Anne Frank e.V. in Frankfurt am Main und das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) in Hamburg.

Publikationen

  • RelcoDiff: Benjamin Rensch-Kruse, Saba-Nur Cheema, Yasmine Goldhorn, Isabell Diehm: Antisemitismus unter jungen Kindern. Forschungsgrundlagen und -reflexionen im Kontext einer Differenzforschung in Einrichtungen der frühen Kindheit, in: E. Ilgün-Birhimeoğlu & S. Bostancı (Hrsg.): Elementarpädagogik in der Migrationsgesellschaft. Theoretische und empirische Zugänge zu einer rassismuskritischen Pädagogik, Weinheim und Basel 2023.

  • RelcoDiff: Benjamin Rensch-Kruse, Saba-Nur Cheema, Yasmine Goldhorn: Antisemitismus in der Kita? Einblicke in ein Forschungsprojekt zu Differenzkonstruktionen unter jungen Kindern | Diverse Kindheiten, in: Beitrag in Diverse Kindheiten. Blog für Forschung und Methoden in der frühen Kindheitspädagogik, 01.09.2023.

Alle Publikationen

Kontakt

Dr. Benjamin Rensch-Kruse

Projektkoordination
Goethe-Universität Frankfurt am Main
FB Erziehungswissenschaften
Theodor-W.-Adorno-Platz 6

60323 Frankfurt am Main

Dr. Karen Körber

Verbundpartnerin
Institut für die Geschichte der deutschen Juden
Beim Schlump 83
20144 Hamburg

Dr. Anna Körs

Verbundpartnerin
Akademie der Weltreligionen
Universität Hamburg
Gorch-Fock-Wall 7

20354 Hamburg