In seiner Begrüßung hob Dr. Felix Klein die Bedeutung jüdischer Perspektiven für den Kampf gegen Antisemitismus und die Gesellschaft insgesamt hervor. Es sei wichtig, dass diese Perspektive von der Forschung untersucht und Erkenntnisse in Politik und Praxis eingebracht werden.
Mit einer Podiumsrunde wurden den anwesenden Parlamentarier:innen erste Ergebnisse aus den Studien der FonA-Projekte präsentiert. In ihrer Einführung zeichnete Prof. Dr. Eva-Maria Ziege die Genese der Antisemitismusforschung und ihrer jüdischen Vertreter:innen nach, die den Grundstein vieler einschlägiger Institutionen in Deutschland gelegt haben. In den Projekten der Förderlinie wird nun insbesondere die jüdische Perspektive sowohl als individuelle als auch als kollektive Erfahrung Gegenstand der Untersuchungen in den Fokus gerückt. In einer ersten Runde sprachen die Teilnehmer:innen über den Ansatz ihrer Forschungen und die Befunde bis zum 7. Oktober 2023.
Prof. Dr. Sarah Yvonne Brandl untersucht in einer gruppenanalytischen Studie zur Dritten Generation von Shoah-Überlebenden die Reaktualisierung transgenerationaler Traumata angesichts eigener antisemitischer Erfahrungen. Der eigenen Wahrnehmung zu trauen und Menschen um sich zu haben, die nicht wegschauen oder schweigen, hat für die Interviewten der dritten Generation dabei eine besondere Bedeutung für die eigene Identität. Rabbinerin Dr. Ulrike Offenberg, die in einer Interviewstudie den Einfluss antisemitischer Erfahrungen auf die jüdische Ritualpraxis untersucht hat, ergänzt diesen Befund: Schon vor dem 7. Oktober 2023 hätten 75 % der Interviewpartner:innen von ihrer Zurückhaltung berichtet, ihre jüdische Identität durch jüdische Symbole wie Davidstern oder Kippa in der Öffentlichkeit zu zeigen. Seit dem 7. Oktober haben sich diese Ängste verstärkt. Mit ihrer Untersuchung zu jüdischen Schulen in Deutschland nimmt Dr. Karen Körber eine vermeintliche Erfolgsgeschichte in den Blick. In den vergangenen 20 bis 30 Jahren wurden in Deutschland mehrere jüdische Schulen eröffnet, die den jüdischen Schüler:innen einen Raum der Mehrheitserfahrung eröffnen und für die Eltern die Vermittlung von Grundlagen des jüdischen Lebens sicherstellen. Das Bild wurde durch den Beitrag von Daniel Poensgen ergänzt, der die Betroffenenperspektive im Kontext justizieller Maßnahmen als wichtige Referenz hervorhob, die sowohl im Rahmen der juristischen Beurteilung als auch der Vertrauensförderung zum Rechtsstaat entscheidend sei.
Durch den terroristischen Angriff Israels durch die Hamas am 7. Oktober 2023, den folgenden Krieg und dem massiven Anstieg antisemitischer Übergriffe in Deutschland wurden die Forschungsergebnisse der Verbundprojekte auf die Probe gestellt. Wie die aktuellen Zahlen der Recherche- und Informationsstelle RIAS e.V., die am Vormittag in einer Pressekonferenz präsentiert wurden, belegen, hat sich die Bedrohungslage für Jüdinnen und Juden in Deutschland erheblich verschärft. Das spiegelt sich auch in den Schulanmeldungen bei jüdischen Schulen für das neue Schuljahr wider, die einen deutlichen Zuwachs an Anmeldungen jüdischer Kinder und eine ebenso deutliche Abnahme von Anmeldungen bis hin zu Abmeldungen von nicht-jüdischen Kindern verzeichnen. Auch wenn aus Sicht der Eltern sicher der Schutz der eigenen Kinder im Vordergrund steht, bedeutet er doch für die jüdische Gemeinschaft eine Abwendung der Mehrheitsgesellschaft von ihnen als Betroffenen. Dies bestätigt auch Prof. Brandl, deren Studienteilnehmer:innen sowohl von Ausgrenzungserfahrungen aus Freundeskreisen berichten als auch von einer tiefen Enttäuschung, teilweise vom eigenen politischen Lager im Stich gelassen worden zu sein. Für einige wirft es die Frage auf, was eigentlich vor dem 7. Oktober 2023 war? Sind sie nur einer Utopie aufgesessen?
In der anschließenden Fragerunde stellten die Abgeordneten Prof. Monika Grütters (CDU), Mathias Stein (SPD) und Marlene Schönberger (Bündnis 90/Die Grünen) die Frage, was die Politik zur Antisemitismusbekämpfung und -prävention tun könne. Vor allem Prof. Dr. Ursula Hennigfeld, Projektleiterin des Verbundprojekts AIES, beantwortete diese Fragen in ihrem eindrücklichen Plädoyer, die Politik solle vor allem zunächst die Forschungsergebnisse zur Kenntnis nehmen und daraus konkrete politische Maßnahmen ableiten. Dazu gehörten beispielsweise die Änderung der Kerncurricula aller Fächer und der Lehrkräfte-Ausbildung bundesweit.
Bei einem gemeinsamen Mittagessen wurde der Austausch fortgesetzt.